Musik

Seit 2017 werden immer mehr Workshops zum Thema Musikalität angeboten. Die argentinischen Maestros erklären in ihren Workshops den Wandel des Tango Argentino im Laufe der Jahrzehnte. Der Tango-Boom in Argentinien begann, als das Radio in Argentinien sich durchsetzte. Die Qualität der Tonaufnahmen war jedoch sehr verrauscht und sind für den heutigen Stand der Technik unzumutbar (auch wenn uns immer wieder Tango-Jockeys mit diesen alten Aufnahmen beglücken wollen) . Meistens gibt es die gleichen Lieder von einer aktuellen Band in hervorragender Qualität… und ich finde, ein Künstler darf auch schon zu Lebzeiten gut verdienen!

Die Struktur der frühen Tangos war einfach und alle Künstler ordneten sich dem gleichen Schema unter. Die Orchester wurden verehrt und die Fans verhielten sich, wie wir es nur vom Fußball her kennen, allerdings im positiven Sinne. Der Bedarf an neuen Tango-Kompositionen war kaum zu decken und so entstanden unzählige Orchester, die wöchentlich ein neues Lied auf den Markt warfen. Als dann endlich eine gewisse Sättigung erreicht wurde, hatten die Orchester für eine neue Komposition immerhin 1en Monat Zeit, was sich positiv auf die Qualität der Lieder auswirkte. Die Musik wurde vielschichtiger, und im Falle von Astor Piazzolla (der Urvater des Tango Nuevo) zunächst sogar untanzbar. Es dauerte seine Zeit (manchmal auch 10 Jahre!), doch die Tänzer passten sich an, um die neuen Ideen der Orchester in Bewegung umzusetzen. Heute ist der Tango Nuevo aus der Tangowelt nicht mehr wegzudenken.

In der Fastfood-Zeit des Tangos wurde das Thema eines Liedes mehrfach wiederholt und durch die verschiedenen Instrumente interpretiert. Später setzten sich Tangos durch, in denen die Instrumente tatsächlich einen Dialog miteinander führten. Da es in einem Tango-Orchester keine Beatbox gibt, wird der Rhythmus zum Teil der Melodie… Geige oder Bassgeige gezupft oder mit Bogen gespielt, erzeugen jeweils einen anderen rhythmischen Eindruck. Eine so erzeugte Stimmung wird meist über eine Phrase gehalten, um dann in eine andere Stimmung zu wechseln. Der Tango hatte fortan stark betonte Phasen (mit Staccato) und weiche Phasen (mit Legato). Die Tanguer@s lernten, in der Musik ihre Emotionen zu leben und variieren seitdem ihren Schrittansatz, ihre Impulse und ihren Gewichtstransfer entsprechend.

Je länger der Ton nachklingt, desto weicher wird der Gesamteindruck (Legato). Im Tango werden die Gewichtswechsel langsamer und der Schrittansatz weicher. Die Kunst des weichen Schrittansatzes kann in Youtube bereits bei den „ersten“ Maestros beobachtet werden. Es entsteht oftmals der Eindruck, dass die Tanguer@s mit den Füßen den Boden streicheln. In, On und Off beim Abrollen des Fußes werden dabei wie ein Kaugummi in die Länge gezogen. Die Körpergegenbewegung kann bis zum Anschlag ausgereizt werden (z.B. Ocho mit Boleo, Volcada,…).

Im Staccato wird der Ton hingegen nur kurz angerissen, die dazu passenden Schritte sind zackig (mit Fußflick) und der Gewichtswechsel wirkt ruckartig oder fallend. Verdoppelungen und Richtungswechsel mit auf dem Absatz gestopptem Schrittansatz unterstreichen diese spannungsgeladenen Passagen in der Musik ebenfalls sehr deutlich. Der Schrittansatz erfolgt mit wenig Körpergegenbewegung, um einen schnellen und präzisen nächsten Schrittansatz zu ermöglichen (z.B. Ocho Milonguero).

Manche Tanguer@s meinen, den Staccato durch ein deutlich hörbares Aufstampfen noch verstärken zu müssen. Für mich wird die Grenze der Ästhetik überschritten, wenn dabei der Ausdruck eines zornigen Kindes bei mir ankommt. Das Spektrum des Tangos umfasst sicher pubertierende Jugendliche bis hin zu gereiften Senioren, aber einem Kind nehme ich weder die Rolle einer Frau noch eines Mannes ab. Und damit ist das aggressive Aufstampfen für mich eine klare Themaverfehlung.


Weitere Stilmittel für die Orchester sind Offbeats und Synkopen, die für die Tanguer@s sehr herausfordernd sein können. Hier hilft es sehr, wenn man das Lied gut kennt.

Der Onbeat im 4/4 Takt ist oben in lila dargestellt. Der Offbeat, hier im 4/4 Takt in orange und der Doppeloffbeat in hellblau, sind darunter.

 

Der Offbeat setzt Akzente zwischen den Beats und wirkt damit wie die Vorwegnahme des eigentlichen Hauptbeats. Das Ohr des Zuhörers versucht den Offbeat mit dem Hauptbeat zu verschmelzen, was zu einer belebenden Stimmung führt. Boogie oder Swing ohne Offbeat wäre beispielsweise undenkbar. Da der Offbeat meist vorhersehbar und über längere Zeit gespielt wird, trägt er wesentlich zum Stimmungsbild der Phrase bei.


Der Onbeat ist wiederum oben dargestellt, diesmal jedoch nur mit Takt 1 und 3, da er durch die  von mir willkürlich erzeugten Synkopen darunter eh überlagert wird. Die Akzente zwischen den Beats sind vermutlich nur für den Komponisten schlüssig… ein Grande Maestro bezeichnete beispielsweise die Synkopen von Rodolfo Biagi so vorhersehbar wie Schluckauf.

 

Bereits anhand der Bilder deutlich erkennbar, erzeugt die Synkope eine unruhige Spannung, da sich die Betonung plötzlich und zeitlich begrenzt auf den Nebentakt verschiebt. Als Tanguer@ fühlt man sich außer Takt und bleibt dann besser stehen… Zeit für ein paar Verzierungen (Adornos). Die Grandes Maestros zeichnen sich auch dadurch aus, dass sie offensichtlich auf diese Synkopen in der Musik warten und ihre Bewegungen auf diese verschobene Betonung rhythmisch anpassen. In solchen Fällen spare ich sicher nicht an Applaus…