Haltung

Es gibt kaum etwas, das so vielschichtig diskutiert wird, wie die Tanzhaltung. Interessanterweise werden allein durch die Armhaltung Rollen abgeleitet. Auf die Frage, warum der Führende den linken Arm oben hat, habe ich bislang auch von Weltmeistern noch nie eine biomechanisch plausible Antwort erhalten. Tanzen ist vom Ursprung her ein Ritual, das insbesondere beim Paartanz einen Ausdruck von Intimität zwischen den Geschlechtern widerspiegelt. Ein Tanz berührt mich deshalb auch nur dann, wenn die Tänzer in ihren Rollen bleiben. Für mich passt insbesondere der Vergleich mit Gemälde und Rahmen. Die Frau ist das Gemälde und der Herr ist der Rahmen. Der Rahmen sollte niemals die Aufmerksamkeit vom Gemälde auf sich lenken… denn im Mittelpunkt steht das Gemälde!

Sind darüber hinaus Rollenaufteilungen wie „Führen“ und „Folgen“ noch sinnvoll? Oder ist dies nur ein weiterer Marketinggag der heutigen Tanzlehrer? In meinem Verständnis ist ein Tanz einem Dialog gleichzusetzen. Ein Impuls erzeugt beim Partner eine Reaktion, auf die ich reagieren kann. Wenn der Impuls nicht im ursprünglichen Sinne interpretiert wird, kann ich nicht sagen: „Du folgst nicht!“ Als Impulsgeber habe ich allenfalls die Chance eine neue Bewegungsidee aufzugreifen und in der Musik umzusetzen. Manchmal enstehen erst dadurch wunderschöne Dialoge.


Ballroom

Im Ballroom war die Tanzhaltung ursprünglich sehr ähnlich der heutigen engen Tangohaltung. Ballroom als Wettkampfsport veränderte die Haltung im Laufe der letzten Jahrzehnte. Turnierpaare waren von je her auf viel Präsenz in der Haltung und eine hohe Dynamik in der Bewegung fokussiert. Ich nenne dies die Evolution des Ballroom. Sie führte dazu, dass der Abstand zwischen den Köpfen und die Schritte immer größer wurden. Die Dame steht nicht mehr vor dem Herrn, sondern seitlich neben ihm. Beide Partner halten eine starke Verdrehung in der Körpermitte, damit das jeweilige Center dennoch zum Partner zeigt.

Als wesentliches Wertungskriterium charakterisiert die Haltung den Tanz und soll stets mühelos wirken. Zugleich ist der Paartanz die einzige mir bekannte Sportart, bei der 2 Teilnehmer eine Einheit bilden, obwohl sie sich gegensätzlich bewegen. So ist der eine Partner immer rückwärts unterwegs, sobald der andere vorwärts geht.

Ein weiteres Kriterium im Ballroom ist die Dynamik, welche dem Ballroom eine gewollte sportliche Komponente gibt. Wertungsrichter haben üblicherweise eine Distanz von bis zu 50 Metern zum Paar und diese wollen von allen Wertungsrichtern gesehen werden, möglichst mehrfach während eines Tanzes. Jemand, der stehen bleibt, riskiert umgerannt zu werden. Geschlossene Fußpositionen wird man in der Weltspitze selten finden. Die Musik kann also (im Gegensatz zum Tango Argentino) nicht mit den Füßen gemalt werden, sondern nur mit dem gesamten Körper, insbesondere den Köpfen. Bewegte Arme sind Tabu, da sie zu viel Unruhe im Paar erzeugen und die Illusion einer Einheit verloren geht.

 

Der Tango im Ballroom hat einen Sonderstatus, da das Staccato der Musik keinen metronomischen oder Pendel-Schwung zulässt. Die Tangomusik im Ballroom enthält wenig bis gar keinen Legato und die geforderte Dynamik lässt das Malen mit den Füßen nur selten zu. So wird auch im Ballroom-Tango die Musik durch die Körper und insbesondere die Köpfe interpretiert. Jeder Schritt hat seinen eigenen Impuls und es entsteht der Eindruck einer sehr kontrollierten Bewegung, obwohl die tatsächliche Dynamik ein plötzliches Stehenbleiben nicht ermöglicht. Die Dame steht kompakt, leicht seitlich beim Herrn und hat schnelle, fast ruckartige Kopfbewegungen. Der Unterschied zum Tango Argentino scheint diametral. Der Ausdruck der Dame im Ballroom Tango ist ein eindeutiges „Nein“, während sie beim Tango Argentino ein klares „Ja“ signalisiert. Dennoch ermöglicht der Ballroom-Tango eine sehr starke Verbindung im Paar, die auch Spielraum für Improvisation lässt. Dies ist im sonstigen choreografierten Ballroom ja eher unüblich.


Tango Argentino

Im Tango Argentino wird die Musik nicht mit dem Kopf, sondern mit den Füßen gemalt. Durch die Kombination von parallelen und gekreuzten Schritten ist ein sicheres Gespür für die Füße des Partners unabdingbar. Es ist nachvollziehbar, dass viele Tänzer den Blick in Richtung Füße halten, zumal in einer Milonga (Tango-Tanzparty) auch die Füße der anderen Paare ein nicht unerhebliches Risiko darstellen. Immerhin teilen sich auf einer Milonga ca. 100 Paare den Platz, der im Ballroom maximal für 10 Paare reichen würde.

Eine enge, innige und ehrliche Umarmung bietet eine gute Voraussetzung für eine gute Verbindung. Für mich erfordert eine enge Umarmung den ganzen Arm, auch wenn es mehr Energie benötigt, die Oberarme dabei hoch zu halten. Die Tangohaltung erfordert im Vergleich zum Ballroom weniger Kraft. Darüberhinaus können Tanguer@s besser erkennen, wo der jeweilige Schwerpunkt des Partners gerade ist und auf welchem Bein er gerade steht. Der erste Bewegungsimpuls kann in dieser engen Haltung sehr gut wahrgenommen und interpretiert werden. Wenn die Köpfe eng beieinander sind, unterstreicht es die Echtheit der Umarmung und erzeugt nebenbei mehr Beinfreiheit, da die Hüfte etwas zurückgehalten werden kann. Der eigene Schwerpunkt bleibt dabei über den eigenen Füßen. Angelehnt zu stehen entspricht nicht der Lehrmeinung und wird dennoch oft getanzt. Mich stört es dann, wenn die Fersen der Dame keinen Bodenkontakt mehr haben, da ihre Impulse oder auch ihre Reaktion auf meine Impulse schwer zu erkennen sind.

Im Gegensatz zum Ballroom kann sich die Haltung im Tango Argentino von eng auf weit und wieder zurück verändern. Dabei rutschen die Hände der geschlossenen Seite auseinander und wieder zusammen. Die linke Hand der Dame kann in der engen Haltung auf der linken! Schulter des Herrn liegen oder auch irgendwo auf seinem Rücken. Öffnet sich die Haltung, rutscht die Hand auf die Schulter und kann entlang des rechten Arms des Herrn bis zu seiner Hand weiter rutschen. Gleichzeitig wird sich die eigentlich offene Seite mehr und mehr schießen.

In der weiten Haltung geht die Innigkeit der engen Haltung naturgemäß verloren und es sind bereits Absprachen notwendig. Wird der erste Bewegungsimpuls über Zug oder Druck durch die Arme an den Partner vermittelt? Partner können sich entweder durch den Druck einladen lassen, oder ihm ausweichen. Die Bewegung kann zirkular oder linear um den Partner erfolgen. Alles funktioniert, aber ohne Absprachen kommt es zu Missverständnissen. So entsteht ein Rahmen, den kein Partner sprengen sollte. Der eigene Bewegungsfreiraum und die resultierenden Stilrichtungen sind nahezu unbegrenzt. Für mich ist diese Grenze jedoch dann überschritten, wenn der Gesamteindruck eher einem Discofox gleicht.